Ruth Horak
, ALIEN PRODUCTIONS & MACHFELD Cross Talk

Text über die gleichnamige Installation in der Fotogalerie Wien; 19. 12. 2006 - 29. 1. 2007

In der diesjährigen Ausstellungsreihe CROSSOVER der Fotogalerie Wien wird der intermediale Austausch zwischen Fotografie und anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln angesprochen: Film und Malerei waren zwei solche Bereiche, die als benachbarte visuelle Praktiken immer schon auf die Fotografie Einfluss nahmen bzw. zu einem transdiziplinären Arbeiten anregten und in den ersten beiden Ausstellungen Anfang des Jahres eine aktuelle Interpretation erfuhren. Die dritte Ausstellung dieser Reihe - das Crossover zwischen Fotografie und Medienkunst - lässt die Erinnerung an eine in den frühen 1990er Jahren geführte Diskussion über den möglichen Tod der Fotografie aufflammen, aber Martin Breindl von alien productions bemerkt zu Recht, dass es weniger zu einem Ende, als zu einer polyformen Anwendung von Fotografie gekommen ist: „Besides the - still ongoing - ‘traditional use of photography’ (creating a stand-alone image or a series), photographs have become, more and more, a part of complex artistic manifestations. They are used in installations, performances and time based arts, they are integrated in blogs, web- and net-art projects, they are rendered into VR-environments and digital video, among many others.” |1|

Entsprechend der vielen Bereiche, in die sich die Fotografie auffächern lässt, ist auch die jetzige Ausstellung hinsichtlich Autorenschaft, Themen, Präsentationsformen und Leseweise als breites Crossover angelegt: zwei Künstlergruppen, alien productions (Martin Breindl, Norbert Math, Andrea Sodomka) und Machfeld (Sabine Maier & Michael Mastrototaro), haben ein Konzept erarbeitet, das von den Räumlichkeiten der Fotogalerie Wien (großer Ausstellungsraum, kleiner Ausstellungsraum und Kino) ausgeht und den drei Räumen 3.1 „Wahrnehmungsfelder“ (Bild, Text, Sound sowie den elektronischen Radio-Raum des ORF-Kunstradio als .1) zuordnet und darin medienreflexive Themen umkreist. So ist der große Ausstellungsraum mit einer begehbaren Kamera vergleichbar, aus welcher der tatsächliche Raum in einer gerenderten Doppel-projektion über eine Spiegelkonstruktion als dreidimensionales VR-Environment wieder gesehen werden kann. Der Eindruck des Sich-in-der-Kamera-befinden ist dabei aber weniger auf das Objekt Kamera, Gehäuse oder Mechanik bezogen, als auf die Art, bewegte Bilder mittels eines Schwenks, mittels Zoomen, Brennweite, Tiefenschärfe etc. herzustellen.

Der kleine Ausstellungsraum interpretiert das Medium „Text“. Wiederum ist der Apparat als Kulisse eingesetzt: Vier „unbekleidete“ Nadeldrucker drucken ratternd nicht nur ohne Gehäuse, sondern auch ohne Papier und transformieren eine ursprüngliche Text-to-Speech Passage wieder in einen (unsichtbaren) Text, während sie dem Besucher mit den sympathischen visuellen und auditiven Qualitäten längst ausrangierter Geräte der ersten Computer-Generation schmeicheln. Ihr Rattern wird außerdem verstärkt, „sodass der Eindruck entsteht, dass es die Drucker sind, die sprechen“ (alien productions).

Der dritte Raum schließlich, das Kino, wird zum „Hörkino“, zum akustischen Projektionsraum, mit Hörstücken von alien productions und Machfeld, d. h. kurzen narrativen Einheiten, in welchen mit akustischem Material reale Szenarien, Eindrücke und Stimmungen angedeutet werden. Und auch hier setzt ein historischer Bezug an: das erste nicht live gesendete, sondern aufgenommene Hörspiel, „Weekend“ von Walter Ruttmann (1930), war nämlich durch die Bearbeitung der Lichttonspur eines Films produziert worden - von Ruttmann selbst als „photographisches Hörspiel“ |2| bezeichnet. „Da nun die Photographie des Tons durch Belichtung eines Filmbandes geschieht, ergeben sich für die akustische Montage die gleichen Möglichkeiten wie beim Filmschnitt.“ |3| „Weekend“ wurde im Kino bei schwarzer Leinwand aufgeführt und gilt heute als eine der frühen radikalen Radioarbeiten, die „ohne Schauspieler, ohne eigens gestalteten Text, nur mit Geräuschen und akustischem Material aus der Umwelt eine Geschichte erzählt und in dem Montage und Schnitt eigenständige Kompositionsprinzipien sind“. |4|

So finden sich letztlich in allen drei Räumen der Fotogalerie Wien historische Anker, in welchen auf mediale Errungenschaften Bezug genommen wird (Stereoskopie, Hörspiel) oder in welchen die Instrumentarien eine sehr unmittelbare Rolle spielen, bzw. unmittelbare Aufführungsbedingungen erfordern - die Nadeldrucker etwa werden regelrecht zu Performern, die Räume verwandeln sich in Gehäuse und die UserInnen switchen zwischen den verschiedenen Disziplinen. Denn der Shift vom mechanischen zum digitalen Zeitalter, wie er gerade stattfindet, wird nicht nur von der Apparateindustrie getragen, die zu jedem Anlass Hard- und Software Updates auf den Markt bringt, sondern wird auch vom Interesse für ganz frühe Techniken und Utopien begleitet, vom Revival des Analogen und der Trauer über aussterbende Verfahren.

Das historische Material impliziert außerdem die radikale Anwendung durch die Avantgardekünstler, die sich von Anfang an wehement für ein medienimmanentes Denken einsetzten: eine eigenständige Kunstform muss ihre eigenen Mittel zur Anschauung bringen, eigene Kompositionen entwerfen und einen eigenen Stil daraus ableiten. „Solange die Leinwand der Ort bleibt, an dem jeder Provinzler seinen Alltagsmüll ausschütten kann, wird der Film niemals eine unabhängige Kunstform sein, sondern nur ein neuer, von den technischen Möglichkeiten der Wissenschaft erfundener Abfalleimer (…) - die künstlerische Form ist unter Alltagsmüll und Küssen verborgen.“ |5| (Kasimir Malewitsch)

So ist Cross Talk insgesamt eine Verständigung zwischen Medienkünstlern über Medienkunst, ein „Talk“, der sich zwischen verschiedenen Medien und deren Eigenschaften ausbreitet und für den Betrachter ein feines polymediales Erlebnis bereithält.


Ruth Horak

|1| Martin Breindl, Underexposed Snapshots from the Future, in: Backlight 05 - 7th International Photographic Triennial in Tampere, Finland; Tampere: Photographic Centre Nykyaika, 2005

|2| Walter Ruttmann, Weekend, in: Film-Kurier, Berlin, Nr. 41, 15. Februar 1930; zitiert nach: http://www.medienkunstnetz.de/quellentext/96/ [Stand: Nov. 2006]

|3| Walter Ruttmann, Neue Gestaltung von Tonfilm und Funk. Programm einer photographischen Hörkunst; zitiert nach: Jeanpaul Goergen, /Walter Ruttmanns Tonmontagen als Ars Acustica/, Siegen 1994, S. 25-26

|4| Andrea Sodomka, Re-Inventing Radio; Radio als Ort, Kontext und Gegenstand von Kunst, Teil 1 - Das Drama der Distanzen, 2004; http://www.kunstradio.at/2004B/05_09_04.html [Stand: Nov. 2006]

|5| Kasimir Malewitsch, Die Geschichte der Malerei im Film, in: Das weiße Rechteck - Schriften zum Film, Hrsg. Oksana Bulgakowa, Potemkin Press, Berlin 1997, S. 75