Ruth Horak
, DIE WELT VON MACHFELD

Text für Artluk Magazin - Poland

“Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, buchstäblich dadurch, dass wir sie leben.“
                                                                                                (Humberto Maturana)

Wenn wir Humberto Maturana, einem chilenischen Biologen und Philosophen, weiter folgen,  konstruieren wir die Welt praktisch erst durch unsere Wahrnehmung. Gleichzeitig kann es dadurch keine vom Betrachter unabhängige, "objektive" Welt geben, weil Betrachter und Betrachtetes immer in einer eigentümlichen Wechselbeziehung stehen und somit das Bild erst im Auge des Betrachters entsteht. Auch bei Arthur Schopenhauer, ca. 150 Jahre früher, heißt es: „Die Welt ist meine Vorstellung“ - „dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; […] Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde, sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand die eine Erde fühlt, daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d.h. durchwegs nur in Beziehung auf ein anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist.“

Diese beiden kurzen Auszüge könnten eine Grundlage für die künstlerischen Arbeiten von Machfeld sein. Das 1999 von Sabine Maier und Michael Mastrototaro formierte Künstlerteam mit Niederlassung in Wien (MACHFELD, International Arts and Culture Society, www.machfeld.net) legt nämlich seine Projekte als Wahrnehmungskonstellationen an. Mit „Machfeld“ bezeichnen die beiden KünstlerInnen ein weißes Feld auf einer Landkarte, das es noch zu entdecken gilt. Dorthin locken sie uns, indem sie uns herausfordern, verschiedene Wahrnehmungsfelder zu verknüpfen, die sie aber schon im Vorfeld verdreht oder durch Auslassungen gestört haben. Machfeld arbeitet dabei zunehmend interdisziplinär, um möglichst viele Sinne anzusprechen. Denn wenn man etwas wirklich erkunden will, dann mit allen Sinnen und in allen Dimensionen, wie einen Fremden, in den man sich verliebt.
In einer Performance von 2002, „The Game“ etwa nimmt eine Frau die Rolle einer Marionette an, d.h. sie ist entsprechend entindividualisiert, willenlos, von außen lenkbar und damit eine Visualisierung jener Metapher, bei der eine lebende Person wie ein Werkzeug von anderen benutzt wird. Das Publikum war aufgefordert, der Marionette Befehle zu erteilen. Körperkontakt war verboten. Eine weitere Marionette war nur am Bildschirm, aber dort genauso für Anweisungen empfänglich. Im Vergleich gingen die Live- und die Internetversion sehr unterschiedlich aus. Letztlich galt das Experiment nämlich den Verhaltensweisen der interagierenden Personen im realen und im virtuellen Raum und wie ihre Vorstellungen divergierten: Wie sehr kann sich die Marionette zurücknehmen und wie ausgesetzt ist jemand bei der Befehlsausübung im Realraum, während er am Bildschirm anonym bleibt, wie sind die Berührungsängste hier und dort, kommt es zum Ausspielen von Macht, wie provokant werden die Befehle? Betrachter und Betrachtete, Spieler und Spielfiguren, Anweisung und Ausführung, der vorgegebene Rahmen und seine Grenzen führten zu einem Wechselspiel, das von jedem Mitspieler anders wahrgenommen wurde und dadurch nach Spielende auch zu teilweise heftigen Diskussionen führte. 
Ein aktuelleres Stück, „Elendsalltag“ (2007) – hier bildeten durch ein analoges Videodevice zerstückelte Alltagsbilder aus der Stadt die Kulisse für eine Performance, und mischten sich mit den Live-Bildern der Tänzerin – zeigt Machfelds Interesse an konzeptuellen Ansätzen: „Ausgehend vom rhythmischen Prosatext „Kleine Ritterkunde“, der über die Schablonen des Arthus-Mythos in drei Abschnitten die herrschenden Zumutungen der gegenwärtigen geopolitischen Zustände verhandelt, werden in der Medien- und Tanzperformance zur Darstellung ebendieser entropischen Gesellschaftsentwicklung klassische und aktuelle Kunst- und Ausdrucksformen verbunden. Die Literatur und die audiovisuellen Elemente bieten dabei in ihrer Verschränkung eine hochreflexive Umgebung für eine nicht weniger illusionsbrechende Live-Tanz-Performance. Im Verlauf der Performance werden auf allen Ebenen – vom Wort über den Körper, vom Bild zur Musik – die narrativen und technischen Gegebenheiten in ihrer dysfunktionalen Beschaffenheit enttarnt, der Alltag in all seiner Unheimlichkeit dargestellt.“ (Thomas Ballhausen)
Der konzeptuelle Ansatz von Machfeld kann manchmal auch ganz abstrakt werden: „Horse and Hound“ (2006), einer ihrer zahlreichen (Kurz)filme, bietet den Augen nur eine Farbe (Gelb), den Ohren dafür die turbulente Geräuschkulisse eines Western. Allerdings sind sämtliche gesprochene Dialoge aus dem Film geschnitten, die Geräusche übernehmen dafür das Geschehen. Oder bei „Wolperding“ (2003) wurden „4 Texte über das Schneiden in 4 Teile geschnitten und von 4 Personen gleichzeitig 4-mal vorgelesen“ (Machfeld).
Machfeld greift oft auf bestehende Materialien zurück, die direkt bearbeitet werden (Visuelles wird in Akustisches übersetzt) oder die transformiert werden, wie ein für unser Medienzeitalter denkwürdiges Ereignis, jene Webcam der ersten Generation, die die Bilder eine Kaffeemaschine („Trojan Coffee Room“) aus dem Computerlabor der Universität Cambridge an die Mitarbeiter sendete, damit diese immer über den aktuellen Kaffeestand informiert waren. Ein anderes erwähnenswertes Found Footage Stück ist „Schreckliche Krake gegen großartige Schlange“, ein 72 Stunden-Streaming, das sämtliche Monster aus 30er- und 40er Jahre Filmen vereint hat.
Ein Ausgangspunkt für Machfeld ist auch oft die zunehmende Durchdringung des Alltags mit Technik, wie „Pioneer“ (2003), einem Projekt, bei dem Machfeld Überwachungstechnologien und Privatsphäre einander gegenüberstellten. Unter dem Slogan „Lieber sicher als frei“ fanden Workshops zu den Themen Funkstörung, Wireless Scanner und Phantombildzeichnen statt. „Bei einem öffentlichen Warwalking Contest in Wien wurden von den Pionieren mittels Pioneer Scanning Units (PSU: GPS-System und PDA) 2831 drahtlose Funknetzwerke (Wireless LANs) aufgespürt. 1737 verfügten über keine Wep-Verschlüsselung. Weiters wurden die Wege der Pioniere aufgezeichnet. Die künstlerische Umsetzung erfolgt in der Darstellung eines Wienplans, neun Täterprofilen und einer Video- und Soundinstallation.“ (Machfeld).
Machfeld sind Medienkünstler, die nicht nur mit den Medien arbeiten, sondern an den Medien, an den vielen Dimensionen des Medialen, den technischen Bedingungen von alten und neuen Medien, dem kommunikativen Hintergrund, der sich oft in Kooperationen mit anderen Künstler(teams) niederschlägt, der Unordnung, die die verschwenderische Fülle von Informationen in unser Wissen bringt, der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft oder eben den unterschiedlichen Wahrnehmungsformen. Und dabei gelingt es ihnen, ein bisschen Welt zu erzeugen, die es bis dahin noch nicht gab.

Ruth Horak